Redeanalyse Deutsche-Bank-Vorstand: Verhaltener Applaus beim Wirtschaftstag für Anshu Jain

Eine einzelne Rede kann den Aktienkurs eines Unternehmens beeinflussen. Vorstandsreden sind für die Firmen daher von elementarer Bedeutung. Nicht umsonst beschäftigen die großen Konzerne ganze Abteilungen von Redenschreibern. So wurde Anshu Jain, Nachfolger von Josef Ackermann und Co-Vorsitzender der Deutschen Bank, vermutlich sehr gut auf seine erste wichtige Rede vorbereitet. Das Publikum: 2.000 Zuhörer des Wirtschaftsrats der CDU beim Wirtschaftstag am 12. Juni 2012 in Berlin.

Hinter vorgehaltener Hand tuscheln die Kritiker von Anshu Jain über die ausbaufähigen sprachlichen Fähigkeiten des Deutsche-Bank-Vorstands – er ist Brite mit indischem Migrationshintergrund. Vielleicht erschien Anshu Jain deshalb vor seiner Rede sehr angespannt zu sein – seine Augen während des Wartens starr nach vorne gerichtet, mit dem Stift spielend, die Lippen zusammengepresst, beim Gehen zum Rednerpult ein Blick auf das Redemanuskript, das er fest in der Hand hält.

Der Deutsche-Bank-Vorstand bemüht sich.

Anschließend liest er die ersten Sätze seiner Rede auf Deutsch von seinem Manuskript ab und startet in Sachen Sprachkenntnisse die Flucht nach vorne: Er erklärt, die Deutsche Bank sei seit fast 20 Jahren sein Zuhause, er arbeite noch an der deutschen Sprache und müsse diese Zeilen ablesen. Muss er das wirklich?

Offen mit den mangelnden sprachlichen Fähigkeiten umzugehen ist das Beste, was Jain machen kann.

Für eine solch lange Zeit bei einem deutschen Arbeitgeber liest er jedoch mit ungewöhnlich starkem Akzent vor, aber durchaus fließend. Sind seine Kenntnisse wirklich so schlecht, oder ist nur seine Aussprache verbesserungswürdig? Das ist schwer zu beurteilen, vielleicht stapelt Jain tief. Rednerberater haben ihm vermutlich empfohlen, die wenigen deutschen Sätze auswendig zu lernen, was er wohl nicht getan hat. Damit hätte er sein Publikum auf seine Seite gezogen. Die Wirkung gerade des Redeeinstiegs sollte nicht unterschätzt und gut genutzt werden. Mit dem Ablesen hat er sich keinen Gefallen getan.

Jain sagt anschließend, das Englisch des Publikums sei besser als sein Deutsch, weshalb er um Erlaubnis bitte, ins Englische zu wechseln.

Ein Redner sollte seinem Publikum niemals etwas unterstellen, worüber er sich nicht zu 100 Prozent sicher ist. Und wenn es um Kenntnisse oder Fähigkeiten des Publikums geht, kann er sich praktisch niemals sicher sein. Die Behauptung über die Englischkenntnisse seiner Zuhörer war ein rhetorischer Fauxpas.

Man hätte ihm sagen sollen: 60 Prozent der Deutschen verstehen überhaupt kein Englisch, und nur 10 Prozent sind im Englischen sattelfest.

Mit größter Wahrscheinlichkeit lag er daher daneben und hat bereits durch die Unterstellung einen Teil der Zuhörer verärgert. Diese Menschen anschließend für sich zu gewinnen, ist sehr schwer.

Dabei wäre es ganz einfach gewesen.

Jain hätte sagen können, er „vermute“ oder „hoffe“, dass die meisten Zuhörer besser Englisch sprächen als er. So hätte er denjenigen, die nicht zustimmen, einen Ausweg gelassen. Oder er hätte den Vergleich seiner Sprachkenntnisse mit denen des Publikums ganz weglassen und lediglich um Verständnis bitten können. Es hätte noch mehr Möglichkeiten gegeben, die keinen inneren Widerstand bei den Zuhörern provozieren.

Authentizität ist Anshu Jains großes Plus.

Nach der deutschen Einleitung folgt ein aufrichtiges, fast entwaffnendes Lächeln. Das war nicht gelernt, vielleicht auch nicht geplant. Mit dieser Geste hat Jain mit Sicherheit Punkte bei seinem Publikum gesammelt. Diese Natürlichkeit sollte sich Anshu Jain auf jeden Fall bewahren. Mit ihr wird er auch bei kritischen Reden Zuhörer auf seine Seite holen.

Guter Eindruck dank Verzicht auf Bankenkauderwelsch.

Sprachlich haben Anshu Jain und/oder seine Redenschreiber etwas Wichtiges beachtet: Der Redner hat sich seinem Publikum angepasst. Anshu Jain hat zwar über Finanzthemen gesprochen, finanzweltinterne Begriffe hat er aber weggelassen. Hier könnte sich mancher Redner, der über Fachthemen spricht, ein Beispiel nehmen. Allerdings hat Anshu Jain auch auf rhetorische Finessen und rednerische Kunstgriffe verzichtet.

Wie kam die Rede beim Publikum an?

In dramaturgischen Pausen, in denen Applaus eingeplant war, blieb es still. Vielleicht lag es mit daran, dass es schwierig ist, mit einer fremden Sprache Emotionen zu wecken. Vielleicht lag es am Redeinhalt: eine unverbindliche Reise um die Welt der Finanzen – Amerika, Asien, Europa, Mittelstand, Globalisierung, Euro. Jain würde weitermachen wie sein Vorgänger Josef Ackermann, sagte er. Der Applaus am Ende war verhalten.

Rhetorikmagazin
© Christian Bargenda, rhetorikmagazin.de


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