Wie Sie Lampenfieber überwinden, Teil 2: Wenn der Kopf sich querstellt

Ein Beitrag des Rhetorikexperten und Biologen Heiko Harthun. Teil zwei des zweiteiligen Lampenfieber-Spezial. –

Angst, Lampenfieber und Nervosität sind die Bezeichnungen für das, was einen Redner vor dem Vortrag erwarten kann. Wie Sie die Symptome lindern können, habe ich im ersten Artikel beschrieben. Wie Sie der Ursache begegnen können, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Die Gründe für Lampenfieber sind vielfältig

In der Literatur zum Thema Lampenfieber dreht sich praktisch alles um das Thema Angst sowie deren individuelle Ausprägungen. In den Coachingansätzen, auf denen die meisten Bücher zu diesem Thema basieren, geht es in Schritt 1 darum, die persönliche Ursache der Angst zu ergründen, und in Schritt 2 darum, dem Ursprung der Angst den Stachel zu nehmen.

Wovor können Redner Angst haben?

Es können Zwischenfragen sein, die den Redner aus dem Konzept bringen, oder die er glaubt, nicht beantworten zu können. Oder es sind mögliche Zwischenrufe, auf die er glaubt, nicht angemessen oder schlagfertig genug reagieren zu können. Oder es ist eine persönliche Nemesis, die wahrscheinlich im Publikum sitzen wird. Viele haben auch Angst davor, während der Präsentation den Faden zu verlieren oder einen Blackout zu haben. Oder es ist die Angst vor unbeabsichtigten Lachern oder Lachern an den falschen Stellen.

Der erste Lösungsansatz ist einfach: Sicherheit herstellen!

Einen „Plan B“ zu entwickeln ist idealerweise der erste Schritt, durch den Sie Sicherheit schaffen. Ein „Plan B“ ist situationsabhängig und sehr individuell.

Sie können Zwischenfragen, die gerade nicht passen, mit einem freundlichen: „Ich beantworte Ihre Frage gerne im Anschluss“ nach hinten verschieben. Bleibt der Fragende hartnäckig: „Ich bin zu alt, um mir das bis dahin zu merken“, können Sie ihm (vorbereitet) Papier und Stift reichen. Weicht er aus: „Ich kann leider nicht bis zum Ende bleiben“, können Sie ihm ihm eine Visitenkarte übergeben, mit der freundlichen Bitte, Ihnen eine E-Mail mit der Frage zu schicken.

Die persönliche Nemesis im Publikum können Sie vorher darum bitten, sich Feedback zu notieren und Ihnen nach dem Vortrag Tipps zu geben. Denn nach der eigenen Meinung gefragt zu werden, schmeichelt und sorgt für eine positivere Grundstimmung. Um den Faden nicht zu verlieren, können Sie sich nummerierte Karteikarten bereitlegen (die Sie wahrscheinlich nie brauchen werden), und für den eintretenden Notfall haben sie einen Medienwechsel vorbereitet. „An dieser Stelle spiele ich Ihnen ein Video/Audiostück vor, um XYZ zu verdeutlichen.“

Allen Gegenmaßnahmen zum Trotz lässt sich unser Gehirn nur schwer überzeugen

Der Adrenalinpegel ist niedrig, der Angstauslöser identifiziert, Gegenmaßnahme und „Plan B“ stehen, der Vortrag läuft viel besser als gedacht – vielleicht noch nicht grandios, aber immerhin … – und alles scheint gut. Bis zum nächsten Vortrag: Da geht der Kreislauf wieder von vorne los.

Leider ist unser Gehirn viel besser darin, negative Emotionen denn positive zu verankern. Evolutionär liegt das, ganz grob gesprochen, daran, dass unser Gehirn eine Verhaltensänderung stabil halten will, nämlich die Situationsvermeidung: Unangenehme Situationen soll man umgehen, ihnen ausweichen, sich ihnen nicht stellen. Deshalb sind alle positiven und erfolgreichen Erfahrungen vom letzten Mal vorerst „verschüttet“.

Wollen Sie neuen Zugriff auf diese Emotionen haben und eine (positive) kognitive Umbewertung erreichen, können Sie sich einiger Hilfsmittel bedienen.

Zuallererst: Hinterher Notizen machen; wie denn die „schlimmen Dinge“ ausgesehen haben, die Sie erwartet haben. Hinweis: Bei den ersten Versuchen würde ich davon abraten, die Notizen vorher zu machen. Die zusätzliche Visualisierung von Ängsten verstärkt diese häufig noch. Und natürlich sollten Sie auch notieren, was davon unnötige und unzutreffende Befürchtungen waren.

Wenn Sie viele Vorträge halten müssen, hilft auch schon eine einfache Strichliste wie z. B.: gute Vorträge vs. schlechte Vorträge, um Ihrem Gehirn zu verdeutlichen, dass die Ängste unzutreffend sind und von der Situation abgelöst werden sollten.

Dejavus und mentale Trigger

Räume und Gerüche sind die stärksten mentalen Trigger bzw. Auslöser für uns Menschen. Hatten wir einmal ein sehr unangenehmes Erlebnis in einem Raum (Ergebnispräsentation in einem Meetingraum oder Vortrag in einer Messehalle / einem Hotel-Konferenzraum), dann löst dieser Reiz eine Welle an Erinnerungen aus. So sehr der Redner sich dann auch auf den neuen Vortrag gefreut hat (und gut vorbereitet ist), steckt er plötzlich mental und gefühlsmäßig sofort wieder in der früheren Situation fest.

Idealerweise „überschreibt“ man ein negatives Erlebnis in einer bestimmten Art von Räumen mit einem sehr positiven Erlebnis, das keinerlei Ähnlichkeit mit der negativen Situation hat. Ein Entwickler, der eine katastrophale Ergebnispräsentation in einem Meetingraum beim Kunden hatte, kann versuchen, sich zum Programmieren immer in einen Meetingraum zu setzen. Der Floweffekt beim Programmieren oder die Gewissheit, geniale Codes an so einem Ort entwickelt zu haben, kann das negative Erlebnis überschreiben.

Ein Manager könnte den Meetingraum für Videokonferenzen mit der Familie nutzen oder die zweite Runde von Vorstellungsgesprächen vom eigenen Büro in den Meetingraum verlagern. Dejavus zu „überschreiben“ ist nicht leicht und auch wieder sehr individuell, die Methode ist dennoch denkbar einfach: In der gleichen Art von Raum, ein alternatives, sehr positives Erlebnis verankern.

Wenn dies alles gar nicht hilft

Sollten all diese Möglichkeiten für Sie nicht in Frage kommen oder sollten Sie alles schon ausprobiert haben, dann würde ich es mit einem „inneren Triumphmarsch“ probieren. Jeder von uns dürfte zwischen drei und zwanzig Lieblingsmusikstücken haben. Meist für verschiedene Emotionen eines.

Nehmen Sie sich ihren Liebling für positive, energiegeladene „Jetzt-packen-wir-es-an“-Situationen (Sport, Heimwerkern, Steuerbelege sortieren), und hören sich dieses Stück drei bis vier Minuten, direkt vor Ihrem Vortrag an. Jedes Smartphone kann das mittlerweile, und fast jeder hat unscheinbare Kopfhörer oder eine Freisprecheinrichtung dafür.

In den Vortrag zu starten, und dabei klingt noch AC/DC mit „Back in Black“ oder Richard Wagner mit dem „Ritt der Walküren“ in den Ohren nach, gibt Ihnen eine ganz andere und vor allem deutlich positivere Dynamik.

Resümee: Lampenfieber ist wichtig für einen guten Vortrag. Leichte Anspannung, erhöhte Aufmerksamkeit und Sorgfalt, das alles trägt zum Gelingen eines guten Vortrags bei. Wenn das Lampenfieber jedoch den Vortrag blockiert und gravierende Probleme auslöst, dann wird es Zeit, etwas zu unternehmen. Und an dieser Stelle ist mein Appell: Egal was, probieren Sie doch einfach eine Sache, die ich genannt habe, aus! Die Welt ist voller verbesserungsfähiger Vorträge, machen Sie ihren Vortrag zu einem, an den sich die Leute mit Freude erinnern.

Lesen Sie auch Teil 1: Wie Sie Lampenfieber überwinden: Wenn der Körper rebelliert

Autor: Heiko Harthun
© Rhetorikmagazin

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