Ralf Schmitt ist Redner, Moderator, Autor und Trainer, und mancher würde sich gerne eine Scheibe Spontaneität von ihm abschneiden – wenn er oder sie sich nur trauen würde. Wie es möglich ist, nicht nur als Redner spontaner zu sein, und welche Folgen Spontaneität hat, sagt er im Interview. Die Fragen stellte Christian Bargenda. –
Ralf, Du wirkst auf der Bühne deutlich spontaner als viele andere Redner. Was ist Spontaneität für Dich?
Spontaneität bedeutet, in einer ungewohnten Situation flexibel zu handeln. Das Gegenteil von Spontaneität wäre, mit einer Situation gar nicht umzugehen, wie ein Kaninchen, das vor einer Schlange erstarrt.
Bist Du sehr spontan?
Jein. Meine Frau sagt manchmal, Du bist gar nicht spontan und tust nur so. In gewissen Bahnen bin ich recht spontan, aber ich glaube, es gibt spontanere Menschen als mich.
Wann bist Du nicht spontan?
Wenn ich eine Struktur im Kopf habe, zum Beispiel wie eine Veranstaltung abläuft, bin ich eher unspontan. Das ist dann, wenn ich weiß, dass es mit einer festen Struktur besser ist.
Wenn Du eine Rede hältst oder moderierst: was daran ist strukturiert?
Ich habe einen Plan wie alles abläuft und Folien, die mir dabei helfen, den Vortrag durchzugehen. Meist sind bei mir 70 Prozent Struktur und 30 Prozent sind Spontaneität. Manche Kollegen von mir schreiben 99 oder 100 Prozent ihres Vortrags, davon bin ich sehr weit weg. Diese Kollegen bewundere ich. Mit der Spontaneität bin ich allerdings nahe an den Menschen.
Hat Schlagfertigkeit mit Spontaneität zu tun?
Für mich ist Spontaneität eine Lebenseinstellung. Hier geht es nicht nur um das, was jemand sagt, sondern darum, wie er handelt, auch um seine Körperlichkeit. Jemand kann mit seinem Körper sehr behäbig sein und dennoch schlagfertig. Ich bin kein großer Fan von Schlagfertigkeit, weil ich sie oft aggressiv erlebe.
Einmal saß ein Zuhörer bei mir im Publikum, der mich fragte: Wie reagiere ich am besten, wenn ich einem Kunden ein Produkt schicke, und der Kunde ruft mich anschließend an und sagt, das Produkt sei kaputt. Wie kann ich dann schlagfertig oder lustig reagieren? Ich sagte ihm, er solle sich bei dem Kunden am besten entschuldigen und ihm ein funktionierendes Produkt schicken.
Mir passiert es übrigens selten, dass mich jemand komisch anspricht. Ich wirke auf manche so abschreckend [lacht], dass andere sich mit der Schlagfertigkeit lieber zurückhalten. Viele denken, ich sei sowieso schneller als sie.
Menschen, die Dich buchen, hoffen ja, hinterher spontaner zu sein als vorher. Kann man Spontaneität lernen?
[Lacht] Das ist schön formuliert. Öffentliche Kurse mache ich praktisch nicht, ich biete hauptsächlich Vorträge an. Man kann lernen, auf Situationen flexibler zu reagieren. Dabei geht es aber nicht um Lernen im Sinne von Ursache und Wirkung – wenn ich das mache, dann passiert das –, sondern eher darum, wie jemand mit einer ungewöhnlichen Situation umgehen kann.
Wie macht er das?
Ich habe dazu immer drei Schritte. Im ersten geht es darum, dass ich zu der Situation Ja sagen muss – ich muss die Situation akzeptieren. Wenn ich eine Situation nicht akzeptieren würde, könnte ich mich ihr nicht stellen. Das Zweite ist: Ich muss damit rechnen, dass ich scheitere. Und drittens geht es darum, im Moment zu sein. Ich habe zwar einen Plan, kann aber nie alle Faktoren berücksichtigen. Im Moment zu sein, heißt das zu nehmen, was vorhanden ist.
Was ist für Dich anstrengender, spontan zu sein oder Struktur herzustellen?
Ganz klar: Struktur herzustellen. Darum habe ich ein Team, in dem Leute sind, die anders sind als ich, und die ich aushalten muss, und die mich aushalten müssen [lacht].
Wie genau kann man die innere Einstellung so ändern, dass man spontaner ist?
Viele sagen in ungewohnten Situationen reflexartig Nein, weil sie damit versuchen, Fehler zu vermeiden. Deshalb geht es darum, in solchen Situationen das Jasagen zu lernen – aber dabei einzukalkulieren und zu akzeptieren, dass etwas schiefgehen kann. Dabei musst Du auch unterscheiden, ob es sich um aktive oder passive Spontaneität handelt: Aktiv bedeutet zum Beispiel, wenn sich jemand traut, einen anderen von sich aus anzusprechen. Passive Spontaneität bedeutet, dass Du in eine Situation kommst, mit der Du umgehen musst.
Hast Du Angst, bevor Du auf die Bühne gehst?
Ja, es kann ja sein, dass das Publikum mich nicht mag. Jeder will doch Wertschätzung.
Hast Du Angst, etwas falsch zu machen?
Nein, Spontaneität hat ja mit dem Falschmachen zu tun. 100 Prozent Richtigkeit sind nicht möglich, das zeige ich den Leuten auch und lebe es ihnen vor. Wenn ich auf die Bühne gehe, weiß ich, dass immer etwas schiefgeht. Das anzunehmen, entspannt mich.
Eine Geschichte habe ich dazu: Bei einem meiner Vorträge gebe ich ausgewählten Zuschauern meine Mobilnummer, und sie dürfen mir in den ersten zehn Minuten Aufgaben schicken, die ich anschließend in den Vortrag einbaue, aber ohne dem übrigen Publikum zu verraten, was die Aufgaben sind. Erst am Ende löse ich sie auf. Einmal musste ich ein riesiges Blumenbouquet, das auf der einen Seite der Bühne stand, im Laufe des Vortrags auf die andere Seite schaffen. Mit solchen Dingen halte ich mich frisch und kann dem Publikum zeigen: man kann alles Mögliche machen, ohne dass die Leute es besonders wahrnehmen. 90 Prozent der Teilnehmer merken nicht einmal, dass ich diese Aufgaben erfülle.
Das heißt, bei vielen Dingen weiß keiner, was ein Fehler ist?
Keiner weiß ja, wie genau Deine Rede aussieht und was Du sagen willst. Darum kann ich sehr viel machen.
Wenn Spontaneität mit Fehlermachen verbunden ist – in welchen Situationen rätst Du dann vom Spontansein ab?
Ich finde, man kann immer spontan sein. Aber – ganz wichtig: Es muss nicht witzig sein. Spontaneität wird oft mit Lustigsein verbunden, aber ich kann auch spontan sein, ohne Witze zu machen. Es gibt ernste Situationen, in denen ich spontan zum Beispiel Mitgefühl zeigen kann. Es geht um Angemessenheit.
Wichtig ist auch, dass Spontaneität relativ ist. Für den einen ist es spontan, morgen nach Mallorca zu fliegen oder nach Australien auszuwandern, für den anderen genügt es, in einem anderen Café als sonst zu frühstücken, für manchen ist es spontan, im asiatischen Restaurant die eigene Hausnummer zu bestellen, ohne zu wissen, was er bekommt. Das will ich gar nicht werten. Es geht darum, überhaupt Spontaneität ins Leben zu lassen, Fehler zuzulassen und sich nicht von überraschenden Situationen oder Menschen, die etwas Unerwartetes tun, ärgern zu lassen.
© Interview: Rhetorikmagazin
© Fotos: Ralf Schmitt
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