Der Meister der Rhetorik und die perfekte Rede: Hans-Uwe L. Köhler im Interview

Hans-Uwe L. Köhler war Redner, Trainer und Autor. Er kombinierte Storytelling und Entertainment und entwickelte daraus viele seiner Ideen. Sein erfolgreichstes Vortragskonzept hieß: „Verkaufen ist wie Liebe!“. Hans-Uwe L. Köhler war Mitglied der Hall of Fame der German Speakers Association (GSA). Er verstarb im Oktober 2022. Dieses Interview führte Christian Bargenda im September 2011.

Herr Köhler, für Ihren Auftritt bei der internationalen GSA Convention 2011 in München haben Sie stehende Ovationen bekommen. Ihr Thema war „Die perfekte Rede“. Gab es dennoch Menschen, die Ihnen anschließend Tipps zur Verbesserung gegeben haben?

Nein. Ich selber habe mir die Frage gestellt – und das mache ich jedes Mal, auch wenn ich Standing Ovations bekomme –: Was von dem, was ich vorhatte, habe ich gemacht, ist eingetreten oder habe ich nicht hinbekommen? Bei mir war es der letzte Satz. Den hätte ich anders betonen wollen, müssen, können. Es ist zwingend notwendig, dass man so etwas selbst weiß.

Sie meinen den Satz „Es war mir eine Ehre, vor Ihnen zu sprechen.“?

Genau. Der ist emotional verschluckt worden.

Was haben Sie aus rhetorischer Sicht von der GSA Convention 2011 mitgenommen?

Hans-Uwe L. Köhler auf der Internationalen GSA Convention 2011 in München

Es gibt in der englischen Sprache etwas, das ich nicht genau benennen kann. Wenn ein Amerikaner redet, klingt das sehr apart, selbst wenn man der Sprache nicht mächtig ist.

Ich war einmal in San Francisco bei einer Architektenvereinigung und habe dort an einem Abend fünf Reden gehört, die sich alle ähnlich waren – alle mit einem kleinen Witz und etwas Humor. Das, was sie als Kinder in den Schulen gelernt hatten, haben sie an dem Abend als Architekten, 30 Jahre später, wieder präsentiert.

Die Amerikaner haben eine Redekultur, die wir in Deutschland nicht mehr haben. Die demagogischen Redner im Dritten Reich haben bei uns die freie Rede als Kulturgut zerstört. Darum finden Sie auch keine deutsche Rednerin – ohne den Damen wehtun zu wollen –, die wie Shelle Rose Charvet auf der GSA Convention über die Bühne geht und gackert wie ein Huhn. Oder Naomi Rhode, die sich, hoch in ihren Siebzigern, hinstellt und sehr emotional redet. Das macht man so in Deutschland nicht mehr, was ich bedauere. Ich bedauere die fehlende Redekultur. In meinem Buch habe ich geschrieben, wenn Mario Barth das Olympiastadion füllt, geht das – weil doof, aber ungefährlich. Aber stellen Sie sich vor, man geht zu einem Redner, der 100.000 Menschen ins Stadion bringt. In dem Fall kommen sofort die Bedenkenträger. – Wir sind sehr verdächtig, wenn das passiert.

Außerdem fand ich den Beitrag des Holländers Richard de Hoop interessant, weil er die Grenzen zur Rede aufriss: War das noch eine Rede? War es Gesang, Operette, Musical, Schauspiel?

War es für Sie eine Rede?

Nein. Um innerhalb einer Rede etwas zu zeigen, ist Singen in Ordnung. Aber eine Rede muss gesprochen werden und nicht gesungen. Gesang ist eine eigene Kunst.

Sie sagen in Ihrem Buch „Die perfekte Rede“, Reden zu halten sei für jeden eine Herausforderung. Auf der Bühne könne auch Unvermögen sichtbar werden, und der Redner könne nicht fliehen. Und: „Das Urteil des Publikums ist häufig niederschmetternd.“ Erleben Sie tatsächlich niederschmetternde Urteile?

Ja, in umgekehrter Form. Was mich wahlweise krank, traurig oder wütend macht, ist, wenn das Publikum einen schlechten Geschmack hat. Das heißt, ich bin erstaunt, bei welchen Redebeiträgen das Publikum noch applaudiert. Oft ist das Publikum zu unkritisch und lässt sich blenden.

In Ihrem Buch geben Sie viele sehr wertvolle Tipps. Von wem lernen Sie Rhetorik, wer gibt Ihnen Tipps?

Hans-Uwe L. Köhler demonstriert dem Publikum der German Speakers Association „Die perfekte Rede“

Ich lerne von anderen Rednern. Beispielsweise bin ich Moderator bei einer Veranstaltung mit acht Rednern und höre mir alle ganz genau an, zum Teil hinter der Bühne. Ich erlebe vielleicht nicht mehr so große Überraschungen. Und obwohl es mir manchmal körperlichen Schmerz bereitet, schlechten Rednern zuzuhören, beobachte ich ganz genau, was sie machen. Dabei überprüfe ich auch mein Urteil und frage mich: Ist es gerecht oder gerechtfertigt? Stimmt es, wenn ich sage, jemand hat eine Chance für eine gute Redeidee nicht genutzt? Dennoch finde ich immer wieder etwas, das mich am Ende doch bereichert.

Was tut Ihnen am meisten weh? Was ist das Schlimmste, was ein Redner machen kann?

Das Schlimmste ist die Kombination aus Dummheit und Desinteresse am Publikum. Was ich auch nicht mag, ist grenzenlose Selbstüberschätzung.

In Ihrer Rede bei der GSA Convention gab es einen Zwischenapplaus, als Sie Hinweise zur Kleidung des Redners gegeben haben. Und in „Die perfekte Rede“ schreiben Sie beispielsweise, Damen sollten nur dann ärmellos auftreten, wenn sie sehr jung seien, und Männer sollten abends keine braunen Schuhe tragen. Das scheint Ihnen und dem GSA-Publikum am Herzen zu liegen?

Wenn Sie heute ein Publikum fragen, ob Sie eine Krawatte tragen sollen, sagt es, dass Sie das nicht brauchen. Natürlich müssen Sie das. Man sagt zwar, es kommt auf den Inhalt an. Aber es ist meine tiefe Überzeugung, den Respekt vor dem Augenblick zu wahren. Auch wenn ich alleine arbeite, sitze ich in meinem eigenen Büro manchmal mit einer Krawatte. Den Augenblick, wenn ich arbeite, will ich würdigen. Deswegen würde ich bei einer Rede immer ein bisschen besser angezogen sein, als der Anlass es erfordert.

Hans-Uwe L. Köhler

Wie bereiten Sie sich unmittelbar auf den einzelnen Auftritt vor?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Nächste Woche rede ich in Schwäbisch Hall auf dem Holzbautag der Baden-Württembergischen Zimmerleute. Um mich über das Publikum zu informieren, habe ich mit dem Präsidenten telefoniert. Jetzt weiß ich, dass die Zuhörer durchschnittlich sechs bis sieben Mitarbeiter haben, Familienbetriebe sind, viel Arbeit haben, aber vieles sich im Alltag eingeschliffen hat, was sich auch auf die Motivation auswirkt. Ich habe den Präsidenten gefragt, wie viele von den Zimmerleuten auf die Walz gehen, und erfahren, dass es nur ganz wenige sind. Das ist für mich eine enorm wichtige Information. Stellen Sie sich vor, ich hätte angenommen, alle Zimmermeister seien irgendwann einmal um die Welt gewalzt – sie hätten mich nur verständnislos angesehen. Außerdem habe ich meine Präsentation bereits dem Geschäftsführer geschickt, damit alles aufgespielt und vorbereitet werden kann. So bin ich zu einem Teil schon in Schwäbisch Hall.

Der Vortrag soll sehr heiter sein. Bei dieser Art von Rede habe ich keine Problem mit Aussagen, für die man die goldene Binse bekommt. Aber als Publikum müssen Sie immer damit rechnen, dass ich im nächsten Satz gemeinsam mit Ihnen über eine Steilkante abstürze, und die Leute regelrecht in Panik geraten. Nur, bevor wir alle aufschlagen, geht es gerade weiter und alles ist gut. Dieses kurze In-den-Abgrund-Schauen ist für mich Teil der Arbeit. Um einfach den Leuten immer wieder deutlich zu machen: Das Leben ist als Glücksveranstaltung gedacht, aber zwischendurch sehr gefährlich. Deshalb muss man wach sein.

Weil Sie Abgrund sagen: Gibt es eine Parallele zwischen dem Piloten Köhler und dem Redner?

Nein, überhaupt nicht. Beim Fliegen bin ich unglaublich diszipliniert. Es gib keine alten Helden. Wenn Sie als Pilot etwas versuchen, was bisher keinem geglückt ist, sind Sie hinterher tot.

In meinen Reden probiere ich immer wieder etwas aus. Aber ich probiere nichts aus, um mich öffentlich umzubringen.

Sie schreiben in Ihrem Buch: „Ihre Zuhörer wollen keine Lösung der Probleme, sie wollen den Weg gezeigt bekommen.“ Was meinen Sie damit genau?

Es geht darum, nicht lehrerhaft zu sein, sondern Wege, Kreuzungen, einen Kreisverkehr und vielleicht auch Sackgassen zu zeigen.


Rhetorikmagazin
© Christian Bargenda, rhetorikmagazin.de
© Portrait, Hans-Uwe L. Köhler


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